
„Zezé“: Der erste Brasilianer beim FC und in der Bundesliga
José Gilson Rodriguez war nur ein Jahr lang beim FC, bestritt während dieser Zeit insgesamt 14 Pflicht- und Freundschaftsspiele. Eine ziemlich kurze Verweildauer und eine Statistik, die wie dafür geschaffen ist, in der Masse all der Spieler, die seit 1948 das FC-Trikot getragen haben, „unterzugehen“. Bei José Gilson Rodriguez, den seit Kindertagen alle nur „Zezé“ nannten, ist das anders. Als erster Brasilianer der Bundesliga erreichte er durch seine Vita und vor allem durch die Geschichten rund um seine FC-Zeit so etwas wie Kultstatus, immer verbunden mit einer gewissen Tragik.
Es war ein Wiedersehen, mit dem alle Beteiligten kaum noch gerechnet hatten. Zezé, dessen Transfer von Brasilien zum 1. FC Köln fast 36 Jahre zuvor große mediale Beachtung auslöste, weilte auf Einladung des WDR und des FC im Februar 2000 in Köln, traf dort unter anderem seine ehemaligen Mitspieler Wolfgang Weber, Karl-Heinz Thielen und Heinz Hornig. „Köln ist eine ganz tolle Stadt. Hier verbachte ich die schönste Zeit meines Lebens. Der FC war und ist mein Lieblingsverein. Ich bete jede Woche für den Erfolg der Mannschaft und lasse mir immer die Ergebnisse mitteilen“, sagte Zezé und überraschte mit dieser Liebeserklärung an Stadt und FC, denn aus sportlicher Sicht war seine Zeit bei den Geißböcken von Enttäuschungen und Kuriositäten geprägt. Kuriositäten, die bis heute in kaum einer FC- und Fußball-Anekdotensammlung fehlen.
Der Geschäftsmann José da Gama stellte Kontakt zum schon in den 1950er Jahren weltweit agierenden und in Paris ansässigen Spiele- und Spielervermittler Julius Ukrainczyk her, der schon lange gute Verbindungen zu FC-Präsident Franz Kremer pflegte und Zezé den Kölnern ganz offiziell anbot. Zwar hatte sich in Köln niemand live ein Bild von Zezé gemacht, doch Ukrainczyk ließ Kremer eine opulent illustrierte Mappe mit Zezé-Bildern zukommen. Und von der war der „Boss“ offenbar sichtlich angetan, wie sich Hansgeorg Knöpfle, Sohn des damaligen FC-Trainers Georg Knöpfle erinnert: „Wir saßen in Franz Kremers Wohnung in der Franzstraße und er zeigte uns die Bilder. ‚Schauen Sie mal, wie der schon aussieht. Den müssen wir holen‘, sagte er und war ganz begeistert. Er erhoffte sich eine ähnliche Wirkung wie Jahre zuvor bei Frans de Munck, der sowohl sportlich als auch durch seine optische Wirkung zu gefallen wusste und zahlreiche Zuschauer anzog.“ Selbst die 60.000 D-Mark Ablöse hielten den FC nicht davon ab Zezé zu verpflichten, der schließlich im Juli 1964 nach Köln kam.

Erste Wohnung im Geißbockheim
Mit Freundin Dorly, die er am 3. Oktober 1964 heiratete, bezog der Neuzugang eine Wohnung im Geißbockheim. Dort bekam er wenig später Gesellschaft von seinem ebenfalls von Julius Ukrainczyk vermittelten Landsmann Miguel Ferreira. Der Torwart von Botafogo Rio de Janeiro absolvierte für den FC allerdings nie ein Pflichtspiel und wurde später zum Bonner SC weitertransferiert. Schon bevor Zezé überhaupt Kölner Boden betreten hatte, entstand der erste, noch teilweise bis heute oft verbreitete Zezé-Mythos, denn auf die Frage eines Journalisten, wann der Brasilianer endlich beim FC eintreffe, antwortete Franz Kremer scherzhaft „der ist noch auf dem Bananendampfer Richtung Köln unterwegs“. Dabei war Zezé ziemlich unspektakulär mit dem Flugzeug angereist. Seine neuen Mitspieler lernte er im malerischen Badeort Trouville in der Normandie kennen, wo sich der FC mit den Vertragsspielern und deren Familien eine Woche lang zum „Sommertrainingslager“ aufhielt. Heute würde man das wohl „teambildende Maßnahme“ nennen. Am 26. Juli 1964 trug er bei einem Freundschaftsspiel gegen eine Normandie-Auswahl (10:1 für den FC) erstmals das Geißbock-Trikot und sorgte mit seinem Tor zum zwischenzeitlichen 3:0 für einen optimalen Einstand. Zum Auftakt der Saison 1964/65 war Zezé nur einer von 13 ausländischen Spielern in der Bundesliga. Sein erster Pflichtspieleinsatz hatte mit dem Gewinn des Westdeutschen Pokals gleich einen Titelgewinn zur Folge: Beim 3:0-Erfolg im Endspiel gegen Schalke 04 gelang Zezé das 1:0, die 17.058 Zuschauer in Müngersdorf feierten den neuen Angreifer frenetisch mit Zezé-Sprechchören. Trainer Georg Knöpfle schenkte ihm auch beim ersten Bundesligaspiel gegen Hertha BSC am 22. August 1964 sein Vertrauen. Allerdings verlor der FC als amtierender Deutscher Meister mit 2:3, die 51.394 Fans pfiffen die Mannschaft gnadenlos aus. Zezé, als Linksaußen aufgestellt, konnte auf ungewohnter Position nicht überzeugen und kam danach gut dreieinhalb Monate lang in keinem weiteren Pflichtspiel mehr zum Einsatz.
Darüber hinaus folgten erhebliche Probleme abseits des Platzes. Das für ihn schwer verdauliche Essen sowie Schwierigkeiten beim Erlernen der deutschen Sprache entpuppten sich ebenso als Handicaps, wie die ungewohnte Spielweise beim FC und in der Bundesliga. Den Fußball in Deutschland bezeichnete er stets als „hart und gewalttätig“. Hinzu kamen eine Verletzung und ein Problem, das selbst mit größtem Einsatz kaum in den Griff zu bekommen war: Zezé konnte sich nicht an das Klima in Deutschland gewöhnen und litt vor allem unter der Kälte in den Herbst- und Wintermonaten. Die Wetter-Aversion ging so weit, dass ihm ein Arzt sogar eine „Schneeallergie“ attestierte. Und dann ließ ihn Georg Knöpfle, der zuvor in einem Interview Zezés mangelnde Fitness und dessen fehlende Energie beim Integrationsprozess monierte, ausgerechnet am 5. Dezember 1964 beim Spiel in Nürnberg erneut spielen. Sein Mitspieler Fritz Pott erinnerte sich: „Auf dem Rasen lag knöcheltiefer Schnee und es war saukalt. Zezé zitterte schon beim Betreten des Platzes am ganzen Körper. Ihn da aufzustellen, war schlichtweg wahnsinnig.“ Genau wie der Rest des Teams ging Zezé bei der 0:3-Niederlage sang- und klanglos unter.

„Das war beeindruckend“
Jedoch sind und waren sich alle Zeitzeugen darüber einig, dass Zezé fraglos ein begnadeter Fußballer war. „Was der am Ball konnte, war beeindruckend. Man hatte das Gefühl, die Kugel klebt ihm an den Füßen“, sagte beispielsweise Hannes Löhr in einem Interview. Bis zum Saisonende bestritt Zezé noch drei weitere Bundesligaspiele, ohne dabei jedoch seine Qualitäten nachhaltig unter Beweis stellen zu können. Sein stärkster FC-Auftritt war wohl jener am 17. März 1965 an der Anfield Road beim Viertelfinale im Europapokal der Landesmeister, als der FC dem FC Liverpool ein 0:0 abtrotzte. Für Begeisterung sorgte auch sein Auftritt bei der FC-Karnevalssitzung am 22. Februar 1965. Via Mikrofon schmetterte er zur Freude der FC-Mitglieder ein lautes „Kölle Alaaf“ in den voll besetzten Sartory-Saal. Beim Freundschaftsspiel in München gegen den FC Bayern (2:0) am 22. Mai 1965 lief Zezé dann letztmals für den FC auf. Kurz zuvor hatte ihm der bekannte „FC-Zahnarzt“ Hans Koell noch acht erkrankte Zähne entfernt.
Als Zezé im Juni 1965 nach Auflösung des seines noch ein Jahr gültigen FC-Vertrags nach Brasilien zurückkehrte, stand er vor einer ungewissen Zukunft. Mit Ehefrau Dorly wohnte er kurzfristig in der Wohnung der Schwiegereltern, ein Angebot des FC Sao Paulo lehnte Zezé ab, unterschrieb stattdessen bei Atlética Portuguesa, wo er zwei Jahre lang unter Vertrag stand. Sein Wechsel zum traditionsreichen Palmeiras Sao Paulo stand bereits fest, als sich Zezé kurz vor der Vertragsunterschrift eine schwere Knieverletzung zuzog, die ihn zu einer knapp einjährigen Pause zwang. Während dieser Zeit lebte die Familie von ihren Ersparnissen. Erst 1968 schloss sich Zezé dem aus dem Süden Sao Paulos stammenden E.C. Santo André an und wurde erster Profi des Clubs. Es folgte ein einjähriger Aufenthalt beim Rio Branco SC in der Hafenstadt Paranaguá. 1970 ging Zezé in seine Heimatstadt zurück und spielte für das heute nicht mehr existierende Flamengo Varginha. Obwohl ihm eine Offerte von Ajax Amsterdam vorlag, zog es ihn nicht mehr nach Europa zurück. Mit einem kleinen Lebensmittelgeschäft macht er sich nach der aktiven Laufbahn selbständig und führte es bis 1976. Danach begann er eine Tätigkeit als Service-Techniker für Zementmaschinen der Firma „FLSmidth“. Diese Arbeit übte der vierfache Familienvater bis zum Eintritt in den Ruhestand aus. Zezé verstarb am 31. Mai 2006 in seiner Heimatstadt Varginha an den Folgen einer Krebserkrankung.
Die Geschichte zur FC-Historie ist zuerst im GeißbockEcho (Ausgabe 3, Saison 2024/25) erschienen. Weitere Hintergrundstorys zum FC lest Ihr hier im geschlossenen Mitgliederbereich.